Ausstellung der Neuen Gesellschaft für Bildende Kunst Berlin vom 22. August — 27. September 2009
"Knast" – das sind in der öffentlichen Rezeption vornehmlich
"die anderen": ein Phänomen, eine Wirklichkeit, die einen nicht zu betreffen scheint. Die Ausstellung versucht die künstlerische Annäherung an dieses System, das, obwohl zunehmend ins Abseits gedrängt, ein kontinuierlicher, aber wenig wahrge-nommener und hinterfragter Bestandteil gesellschaft-lichen Funktionierens ist. Aus unterschiedlichen Perspektiven werden die Grenzen der Institution Gefängnis befragt, aber auch ihre Durchlässigkeiten, die spezifische Formen des Austauschs und des Diskurses entstehen lassen.Viele der teilnehmenden Künstlerinnen und Künstler, beweg(t)en sich über längere Zeit direkt im Strafvollzug. Sie agieren als Initiatoren, Vermittler, Moderatoren und Eindringlinge in das hermetische System des Strafvollzugs und schaffen unbesetzte Räume. In den meisten Fällen sind Inhaftierte Co-Autoren der Werke. Andere Positionen beziehen sich beobachtend oder modellhaft auf den Justizvollzug und befragen die spezifischen räumlichen und sinnlichen Bedingungen von Freiheitsentzug.

Monopoly, anonym

Das Monopoly-Spiel aus dem DDR-Gefängnis Rummelsburg in Berlin wurde von unbekannten Inhaftierten versteckt auf die Unterseite einer Schrankeinlage gezeichnet. Es weist einige Veränderungen zum Original auf. So findet man eine Apfel- und Citrusstraße, eine Pepsie- und Colastraße oder die El. Presley- und B. Haleystraße. Musik gab es in Rummelsburg nicht, weder Radio noch Fernseher waren erlaubt. Äpfel konnten im Gefängnisladen gekauft werden, was aber nur einzelnen Gefan- genen zugestanden wurde. Das Gefängnisfeld ist in Gäste- und Mumpeknast umbenannt. „Mumpe“ hießen die Arrestzellen, die sich im Keller des Rummelsburger Gefängnisses befanden. Monopoly war in der DDR verboten.

Anonymous Monopoly, ca. 1980

This Monopoly game comes from the East German prison at Rummelsberg in Berlin, and was secretly drawn by an unknown prisoner on the bottom of a removable cupboard shelf. The game shows several alterations to its original design. There is, for example, an Apple and a Citrus Street (Apfelstrasse, Citrusstrasse), a Pepsi and a Cola Street (Pepsiestrassee, Colastrasse), and an E. Presley and a B. Haley Street (E. Presleystrasse, B. Haleystrasse). Music was not permitted at Rummelsberg, and both radios and televisions were forbidden. Apples could be bought in the prison shop, but only certain prisoners had this privilege. The “Go To Jail” square has been renamed the “Guest Slammer” or “Mumpe”. “Mumpe” was prison slang for the detention cells located in the prison’s basement. Monopoly was forbidden in East Germany.

America is Yours and Yours is America I Heide Hinrichs



Kaugummi hat mit der Dehnung von Zeit zu tun. Steine genauso, ihre Zeitdimensionen übersteigen unser Vorstellungsvermögen. Kaugummi hat auch mit Langeweile zu tun. Mit einer Bewegung, die zu nichts führt, als vielleicht der Ablenkung der Gedanken, ein endloses Malen der Kiefer, die auf etwas beißen, das sich nicht verkleinert, nicht zerteilt, nicht auflösen lässt. Die dreiteilige, assoziative Arbeit nähert sich dem Gefängnis aus der Beobachterposition. Aquarelle von Grundrissen amerikanischer Gefängnisse werden ergänzt durch eine Gruppe gefakter Steine, die mit Kaugummis gespickt sind und einem Schilderwald gefundener „free“-Zeichen (US-Amerikaner markieren so am Straßenrand Dinge, die sie umsonst abgeben wollen).

Chewing gum is about passing time. And rocks have an oddly similar quality, insofar as they’ve existed for a length of time that exceeds anything we are able to imagine. Chewing gum is also about boredom. It’s a motion that serves no purpose, except perhaps to distract thoughts, an endless movement of the jaws which masticate an object that never gets any smaller, and never disappears. The starting point for this work was discovering that the United States incarcerates a higher proportion of its population than anywhere else in the world. At the same time, the social and ethnic make-up of the inmates in American prisons directly reflects the racism prevailing in that society. America is Yours and Yours is America consists of three groups of objects: a collection of handwritten paper signs used to advertise objects being given away for free; nine drawings of ground plans of American prisons; and a group of fake rocks that are dotted with bits of chewing gum.

Space Ghost I Laurie Jo Reynolds


Laurie Jo Reynolds Space Ghost, 2007 (Video, 26 min.)

Film setzt die Erfahrungen von Astronauten und Gefangenen in Korrespondenz. Er bedient sich gängiger Vorstellungen von Raumfahrt, um die physischen und existenziellen Aspekte von Gefangensein fassbar zu machen: den Entzug von Sinneswahrnehmungen, die Wahrnehmung von Zeit als chaotisch und gleichförmig, der Verlust von Gesprächspartnern mit Augenkontakt und das Gefühl in einem Paralleluniversum zu dem von Familie und geliebten Menschen zu leben.


Laurie Jo Reynolds Space Ghost, 2007 (Video, 26 min.)

Ghost is an experimental video that draws analogies

between the experiences and predicaments of prisoners and astronauts. It uses popular notions of space travel to convey the physical and existential aspects of prison life: the lack of sensory stimuli, the perception of time as something formless and monotonous, an extremely restricted physical space in which to move, a general absence of human contact, and the feeling that one is living in a parallel universe to one’s family and friends.

The video takes mass media images as its material, edits them together, and plays them against recordings of telephone conversations between Laurie and her brother Rob, who is serving time in prison. The conversations document their attempt to maintain contact between two worlds that are profoundly estranged and isolated from one another.

RAD I Wannes Goetschalckx

Wannes Goetschalckx baut Holzskulpturen, die ihm als Spielplätze dienen. In seinen Performances und den dafür entwickelten Objekten geht es um Grenzen und das Spiel mit Limitierungen: mit den Grenzen des eigenen Körpers, dessen Ausmaßen und physischen Fähigkeiten, der Belastbarkeit des Materials, des Objektes und des ihn umgebenden Raums. In der Ausstellung zeigt er die Arbeit „RAD“: ein Laufrad, das genau seiner Körpergröße angepasst ist. Konstruiert nach dem Vorbild eines Hamsterrads, dient ihm das Objekt wörtlich als solches.

Wannes Goetschalckx makes objects which he uses as a means to enact a form of serious play. His performances, and the objects he develops for them, involve testing and examining the limits of his own body, its dimensions and physical capabilities, the durability of the material and the object, and the space that surrounds it. It involves examining physical realities and his own relation to them.

The exhibition shows his work WHEEL: a running wheel that functions as such. Small footholes allow entry into the circular contraption, which is set in motion by shifting one’s body weight. The wheel is mounted on rollers, subjecting all ideas of progress, of movement towards a destination or of covering distance, to a reductio ad absurdum. Instead an unending movement is produced, which leads nowhere.

Gitterware I Nadin Reschke


Nadin Reschke, Karen Weinert, Susanne Hanus


Gitterware

ongoing project since 2007

Kiosk devised and created by Nadin Reschke in collaboration with inmates from Bautzen Prison, 2009

Inhaftierte der JVA Bautzen entwarfen und konstruierten mit der Künstlerin im Rahmen der JVA-internen Tischlerausbildung einen Kiosk für Produkte, die deutschlandweit in JVAs hergestellt werden. Die vielfältigen Gebrauchsgegenstände können während der Ausstellung erworben werden.





Working with the artist, inmates on a vocational carpentry course at Bauzen Prison designed and built a mobile shop selling products produced in prisons across Germany. These objects, which can normally only be seen on the internet or in the institutions where they are made, show that a very wide range of goods is produced behind bars, from handicraft items such as Räuchermännchen, wooden figurines representing various figures from the criminal justice system (state prosecutors, judges, prisoners), to work clothes. The various objects can be bought during the period of the exhibition. In the work they have made together, the trainee carpenters have chosen a section of wire fencing from Bautzen Prison as the basic element of their design.

Question Marks I Dias & Riedweg

Mauricio Dias & Walter Riedweg, Question Marks, 1996 (Video, 90 min.)

"Question Marks“ wurde mit zwei Gruppen Gefangener realisiert, die sich bis dahin nicht kannten: Zehn Langzeit-Inhaftierte aus dem U.S. Federal Penitentiary, einem der größten Hochsicherheitsgefängnisse der USA, und 30 Jugendliche im Juvenile Court/ Fulton County Child Treatment Center in Atlanta. Durch den Austausch von Videos entwickelte sich während einer Dauer von drei Monaten ein Kommunikationsprozess zwischen den beiden Gruppen. Grundlage hierfür waren Workshops, in denen Fragen der Wahrnehmung, des Raumes, der eziehungen bearbeitet wurden, zeichnerisch und performativ umgesetzt und Ausgangspunkt für Gespräche über Themen wie Intimität, Familie, Verbrechen und Strafe. Als Diskussionsmaterial wurde der Prozess für die jeweils andere Gruppe dokumentiert, sodass ein sich kontinuierlich weiterentwickelnder, dialogischer Austausch entstand. In einem weiteren Schritt wurden Fragen an die Gesellschaft formuliert und auf Autokennzeichenschildern in die Öffentlichkeit getragen. In der Ausstellung ist ein 90-minütiges Video zu sehen, das Ausschnitte und Verlauf des gemeinsamen Prozesses dokumentiert.

Mauricio Dias & Walter Riedweg Question Marks, 1996 (Video, 90 min.) seen on the left side


Question Marks was developed as an exchange project between two groups of prisoners who had never met before: ten long-term inmates from the U.S. Federal Penitentiary, one of the largest high-security prisons in the United States, and thirty young people from the Juvenile Court / Fulton County Child Treatment Center in Atlanta. A video exchange carried out over three months helped develop a process of dialogue between the two groups. The background to the videos was a series of workshops that dealt with questions of perception, space and relationships. These were then addressed in visual art and performances, becoming a starting point for discussions of themes of intimacy, family, crime and punishment. Each group documented its own work process, which it then made available to the other as material for discussion, resulting in a constantly developing exchange of dialogue. In a further development, questions were formulated that addressed society as a whole; these were printed on car number plates, which were then driven in public. The exhibition shows a ninety-minute video which records excerpts from the collaborative project, and charts its development.

Wiederholung I Artur Zmijewski


Die Videoarbeit „Wiederholung“ vollzieht das berühmte Standford Prison Experiment von 1971 nach, in dem polnischen Arbeitslosen die Rollen von Gefängniswärtern und Gefangenen zugeteilt wurden. Während das Stanford Prison Experiment nach sechs Tagen von außen abgebrochen werden musste, weil die als Wärter agierenden Versuchsteilnehmer zunehmend sadistische Züge aufwiesen und die Inhaftierten unter starken Stresssymptomen litten, kommt Zmijewskis Reinszenierung zu einem anderen Ergebnis.


Repetition recreates the famous Standford Prison Experiment of 1971, using unemployed Poles in the roles of both prisoners and prison guards. The Standford Pris

on Experiment was broken off by its organisers after six days when it became clear that the behaviour of those acting as guards was becoming increasingly sadistic, while the prisoners were showing severe symptoms of stress. By contrast, Zmijewski’s re-staging of the event has a rather different outcome.